Wie Alles enststand

Unsere Geschichte beginnt mit einer WhatsApp-Gruppe von Nicks völlig unbekannter Familie aus Süditalien. In Bari leben um die dreißig Nichten und Neffen. Der Papa von Nick ist in Bari geboren und hat sich nach einem Abstecher in Deutschland verliebt und geheiratet. Die beiden sind nach Venezuela ausgewandert und bekamen zwei Jungs. Und einer ist eben Nick und ich bin Anja. Der Gruppen Chat nahm zu Weihnachten so richtig Fahrt auf und so beschlossen wir 2018 unseren Herbsturlaub in Apulien zu verbringen und in Bari einen Teil der unbekannten Familie kennenzulernen. Und so begann eigentlich alles.
Die zwei Wochen waren wunderschön. Das Essen, der Wein (mir war nicht bewusst das apulischer Wein so gut ist), die Menschen und die vielen kleinen zauberhaften Orte und Städte.

Wenn alles so richtig gut in deinem Leben ist, ist es Zeit etwas Neues zu wagen. Davon bin ich fest überzeugt. Dass ein Break am besten machbar ist. wenn das Leben lacht and alles läuft.
Im Februar 2019 haben wir uns eine Woche Zeit genommen und haben uns in Apulien die im Internet gefundenen Immobilien angeschaut.
Unser Haus ist nicht meine erste Liebe gewesen, aber mit der Besichtigung und der steigenden Vorstellungskraft, was aus der in die Jahre gekomnenen Villa werden kann, ist die Entscheidung für dieses Objekt schon in Flugzeug nach Hamburg getroffen worden.
Wir machen das.

Im Januar 2020 katten wir unser altes Haus verkauft, alles verpackt und unsere alten Berufe an den Nagel gehängt.
Unser Hab und Gut im gekauften LKW verstaut und die drei Hunde im Familienauto untergebracht. So ging es in den Süden.
Wir wurden liebevoll von den Noch-Besitzern begrüßt, haben unser altes Leben in unserem für die Übergangszeit gemieteten Haus in Lecce verstaut und waren voller Vorfreude den Kaufvertrag nun final zu unterschreiben.
Bis die Bank endlich alle Papiere zusammen hatte, haben wir uns ausgetobt, und zwar auf dem Grundstück unseres zukünftigen Lebens.
70.000 qm zu restrukturieren ist eine unfassbare Aufgabe. Hier wurde sehr viele Jahre leider keine Hand angelegt.
Und dann kam COVID – Italien ist zusammengebrochen, besonders emotional. Nichts ging mehr, auch für die Bank. Zwei Tage bevor der Notartermin stattfinden sollte, brach alles zusammen. Die vielen Todeszahlen in Norditalien haben auch bei den Bankern dazu geführt, keine Kredite mehr rauszugeben.
Wir haben weiter in dem Garten gearbeitet, der uns noch nicht gehörte. Sieben Tage die Woche zehn bis zwölf Stunden am Tag.
Ich kürze die Geschichte hier ab. Wir haben erst zwei Jahre später kaufen können und dürfen.
Die zwei Jahre des Wartens und Hoffens haben uns an den Rand der emotionalen Belastung gebracht.

Ende September 2021 ist der Traum doch noch in Erfüllung gegangen und wir haben gekauft.
Durch die mittlerweile schwierige Situation mit dem Verkäufer haben wir erst dann mit der Suche nach Handwerkern anfangen können. Nick und ich haben einfach angefangen die 1000 qm zu entkernen. In acht riesigen Bädern mussten die Fliesen runter, alle gusseisernen Heizkörper durchgeflext und abgebaut werden. Vor vierzig Jahren hat hier ein Tischler viel Zeit investiert, um alle Fenster und Türen komplett mit Holz auszustatten. Jetzt musste alles raus.
Nach drei Monaten kamen die ersten Handwerker und das Haus war leer, komplett entkernt.
Wenn ich mir die Fotos aus der Zeit anschaue, kann ich es selbst nicht glauben, was wir da geleistet haben. Ich muss unbedingt von unseren unglaublichen Freunden erzählen. Unglaublich, da die Beiden drei Mal ihren „Urlaub“ bei uns verbracht haben. Urlaub in Anführungszeichen, weil die beiden so sehr mitgeholfen haben. Somit ist es auch ein bisschen ihr Projekt geworden.
Die Italiener lieben es zu reden und zu reden. Am Anfang habe ich den Baubesprechungen noch beigewohnt, aber das Reden, ohne anzufangen, das Reden, ohne zu einem Ergebnis zu kommen hat mich wahnsinnig gemacht. Keiner hört zu, man bekommt kein Wort dazwischen.
Nick hat diese Aufgabe unglaublich hervorragend gemeistert. Nur am Telefon, hier hinrennen, da gucken, da vermitteln, da Probleme lösen, wo angeblich keine Lösung war.

Was man von dem Italiener immer hört, ist „tranquillo“ (ruhig) und „non ti preoccupare“ (nicht beunruhigen), aber das, was wir glaube ich am meisten gehört haben war „non possibile“ (unmöglich).
Ich habe in der Zeit andere arbeiten gemacht: Lecceser-Stein geschliffen (Monate lang), verfugt und so weiter.
Manchmal war ich echt eifersüchtig auf Nick, der erst mit der körperlichen Arbeit um drei Uhr begann, andererseits konnte ich sehr deutlich sehen wie gestresst und genervt und oft verzweifelt er war, ich hätte seinen Job nicht machen können.
Im August gibt es in Italien „ferragosto“ Sommerferien – da geht in Italien nichts! Eine der Aufgaben, die wir erledigen mussten, bis die Handwerker wieder da waren, war das Haus händisch abzuschleifen. Zu dritt mit unserem Mitarbeiter haben wir bei achtunddreißig Grad die erste Seite des Hauses geschliffen und gewaschen. Der Schleifstaub musste runter, bevor gemalt werden konnte. Wir sind da an unsere körperliche Belastungsgrenze gestoßen. Und der Kopf spielt auch eine Rolle, ein Haus besteht in der Regel aus vier Seiten. Ich habe es irgendwann gehasst. Der Staub ist in jeder Pore der Haut und für uns alle drei unmöglich bei den Temperaturen mit Atemschutzmasken zu arbeiten. Nach einer Woche war die erste Seite fertig, blieben eben noch drei.

Einer der schönen Momente beim Bau ist, wenn Löcher geschlossen werden, Böden gegossen werden und dann entsteht das Gefühl wir haben es fast geschafft.
Überrascht waren wir immer wieder über Aussagen von Freunden und Familie „oh da fehlt ja noch so viel“.
Wir haben uns immer so gefreut, wenn etwas fertig war oder nahe bei fertig erschien.
Eine unglaublich spannende Erfahrung ist es, wenn das Design sich so langsam zusammenfügt.
Meine Aufgabe war das Aussuchen und zusammenstellen von allem, was die Villa heute ausmacht. Räume kreieren, Möbel aussuchen und Farben zusammenstellen.
Nick und ich haben uns in diesem Punkt super ergänzt. Nick der Techniker und ich die Kreative – ein Traum-Team.

Ja und es hat auch manchmal so richtig gekracht bei uns. Die mentale und körperliche Belastung war enorm und so flogen dann auch die Fetzen.
Eine wunderbare Erfahrung ist es, dass wenn der eine einen schlechten Tag hatte, der andere ihn wieder aufgebaut hat.
Ich danke Nick für seinen unglaublich tollen Job, sein Durchhaltevermögen, für das, was er geleistet hat.
Nun zum Schluss – wir freuen uns auf unsere neue Aufgabe: Gastgeber zu sein. Mit unseren Gästen unseren Traum zu leben. Wir freuen uns auf viele nette Gäste.

Wow!, das hätten wir nicht gedacht, unsere Wünsche und Hoffnungen sind jetzt Realität. Wovon ich spreche? – von unseren Gästen.
Sind die toll. Was für eine Freude für Nick und mich so zufriedene und glückliche Gäste zu haben.
Es fühlt sich so an, als wenn wir unseren Traum weitergeben können.
Was wir lernen mussten? Dass unsere Betten zu gut sind, keiner kommt aus ihnen heraus und so stehen wir und warten mit dem Frühstück. Aber genau so muss es sein und unser Plan ist aufgegangen.
Ich koche jeden Abend ein anderes Menü (nicht das ich das je gelernt hätte). Und so saubergeschleckte Teller von so glücklichen Gästen habe ich mir auch nicht vorstellen können. Meine neue Passion. Und das macht so viel Spaß.
Fazit wir arbeiten wahnsinnig viel, aber wir bekommen so viel schönes Feedback zurück.

Der Anfang war so schwer. Alles fertig – Alles schön.
Aber keine Buchungen, da wir keine Rezensionen hatten und somit auch keine Gäste. Was für ein Teufelskreis.
Aber die ersten Gäste haben uns doch irgendwie gefunden und waren begeistert.
Nach drei Monaten sind wir immer noch aufgeregt bei jeder Anreise von neuen Gästen. Aber das erste Lächeln von ihnen, das erste wow löst jegliche Anspannung in uns.
Wir freuen uns auf viele neue schöne Erfahrungen als Gastgeber.